Gestern lud die Daimler und Benz Stiftung, die Villa Ladenburg, zur Veröffentlichung des Weißbuchs zum Autonomen Fahren.
Das Weißbuch ist eine wissenschaftliche Grundlage über das Autonome Fahren, wobei der derzeitige Stand der Technik und der Gesellschaft beschrieben wurde. Das Werk mit dem Untertitel “Technische, rechtliche & gesellschaftliche Aspekte” hat über 700 Seiten und beleuchtet viele Aspekte des Autonomen Fahrens, aber lange nicht alle – so die Eigenaussage. Es soll den Diskurs anfachen, denn bis zur reifen Entwicklung des Autonomen Fahrens muss sich die Gesellschaft und somit auch die Gesetzgebung damit beschäftigen.
Im Endeffekt beinhaltet das Weißbuch der Villa Ladenburg nichts Neues, es ist eine Zusammenfassung des Stands der Dinge auf wissenschaftlicher Basis. Das Weißbuch, das merkte man auch an so mancher Frage, offensichtlich sinnvoll ist und auch Missverständnisse im Diskurs ausräumen kann. Einige Fragen der Anwesenden zielten auf die Strategie von Daimler selbst ab, worauf Professor Weber auf dem Podest aber kaum eingegangen ist. Nur zur Teststrecke äußerte sich er sich in leichtem schwäbisch: man habe eine Sondergenehmigung für das Testen in Baden-Württemberg von Sindelfingen zum Testgelände Immendingen. Außerdem gäbe es heute Mittag, noch einen Lkw-Event mit Sensationscharakter.
Die Aussagen des Buchs findet man oftmals auch in einzelnen Beiträgen auf dieser Seite, wenngleich nicht wissenschaftlich und nicht derart ausführlich. Daher ist es durchaus sinnvoll sich bei Interesse für das Thema dieses Weißbuch anzusehen: Hier kann man es in Form von PDFs herunterladen.
Obwohl man immer auf die Unabhängigkeit der Wissenschaft der Villa Ladenburg verwies, war für das Weißbuch sicherlich gilt, hat man auf der Vorstellungskonferenz nur Beispiele aus dem Hause Daimler dargestellt. Eingangs ging man sofort auf die Bertha-Fahrt ein, wo man aber auch verschwieg, dass – anders als Audi – die Fahrbahn vorher aufwändig digital erfasst hatte.
Die Forschungsgruppe selbst wollte keinen Abschlussbericht vorstellen, es gäbe keine abschließenden Antworten. Zudem gehe die Forschung weiter, das Weißbuch war erst der Anfang. Eine Finanzierungsspritze von Daimler habe die Forschung ermöglicht, da die Stiftung auf Grund der Zinslage kaum Mittel hatte.
Unter den Referierenden fehlte Professor Gerdes der Stanford University. Das Weißbuch ist in sechs Themen aufgeteilt.
Teil 1: Mensch und Maschine (Prof. Gerdes), wo es teils auch um die mediale Darstellung geht, aber vor allem und die Wechselwirkung und die Interaktion zwischen Mensch und Maschine (HMI). Er konnte seinen Part nicht vorstellen.
Teil zwei behandelt die Mobilität der Zukunft, bzw. ihren Wandel. Neue Konzepte und Veränderungen des Verkehrs, auch in der Stadt, in Bezug auf das Autonome Fahren. Hier geht man, wie später noch eindringlicher, der Frage der Akzeptanz in der Bevölkerung nach. Wird es bestimmte Areale für Autonome Autos geben, bestimmte Spuren? Ebenfalls wird der Markt beleuchtet.
Das Auto wird mehr als ein Fahrzeug, es wird zum Semi-Zuhause und Semi-Büro. Dabei kommen künftig Raum und Zeit einer herausgehobenen Bedeutung zu. Daher widmet man sich bei Daimler auch dem Interieur, was am Beispiel des F 015 “Luxury in Motion” exemplifiziert wurde. Das Fahrzeug hat Flügeltüren, drehbare Sitze und ein digitales und vernetztes Innenleben. Auch verwies man darauf, dass Mercedes-Benz schon seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, mit dem Projekt Prometheus, auf der Entwicklungsspur war. Und das Projekt Future Truck 2025 wurde ebenfalls vorgestellt: autonome Autobahnfahrten mit dem Lkw sind bis 80 km/h damit machbar.
Teil drei ist dem Verkehr gewidmet, was die Frage nach den Auswirkungen auf den Verkehr stellt. Dabei geht es auch um den Güterverkehr. Schon zuvor definierte man das Autonome Fahren und die Schritte dahin, siehe hierzu auch im Glossar. In diesem Bereich geht es aber auch um die verschiedenen Formen des Autonomen Fahrens, wie das Car-Sharing, das Auto auf Bestellung oder den Autobahnassistenten.
Andererseits braucht es sogar diese Entwicklung? Es besteht eine zunehmende Verkehrsnachfrage, ungenügende Verkehrsqualität (wie geringe Verlässlichkeit und verbesserungswürdige Wirtschaftlichkeit), die Umweltbelastungen und dass weitere Straßen aus Platzmangel kaum noch möglich sind. Daher geht man auch der Frage der Infrastruktur nach. Die Vorteile liegen auf der Hand: Verkehrsfluss und Straßennutzung werden optimiert. Dies lässt sich sogar in eine Formel fassen. Selbstverständlich reduziert dies die Abgassituation und erhöht die Sicherheit, denn 90 Prozent der Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Vor allem die Städte hätten mehr Platz durch die Auswirkungen von Autonomen Fahrzeugen.
Der vierte Teil ist der der Sicherheit. In der Vorstellung des Weißbuchs gingen die Herausgebenden auch auf einige klassische Fragen zur Ethik und zur Autonomie der Fahrzeuge ein. So das “Beispiel des Trolley” oder auch “San Francisco-Dilemma”. Dort gibt es sogenannte Trolleys, also Straßenbahnen mit Anhängern. Reißt sich ein solcher Anhänger los und rollt den Berg runter, besteht die Gefahr, dass dieser Menschen überfährt. In dem Szenario hat man aber noch eine Weiche, die man stellen kann. Derart kann man die Richtung des Wagens ändern. In der einen Richtung stehen fünf Personen, in der anderen eine Person. Wie soll man sich entscheiden? Ein Professor für Recht beleuchtete die Frage anders: In diesem Fall wäre man rechtlich straffrei geblieben. Aber eigentlich hinkt der Vergleich, denn ein Autonomes Auto hat Sensorik und kann bremsen, der Trolley nicht. Schon heute können Autos im Zweifelsfall für den Menschen bremsen, das Notfallbremssystem.
Teil fünf des Weißbuchs der Villa Ladenburg handelt von Recht und Haftung. Dabei geht es nicht nur um juristische Dinge, sondern auch die Versicherung und deren Probleme werden beleuchtet. Da diese Technik aber noch nicht entwickelt wurde, sei es gar müßig jetzt schon Stellung zu beziehen. Der Diskurs darüber muss erst noch geführt werden, so die Diskussionsrunde. Aber der Diskurs habe bereits gestartet, die Medien berichten darüber und es gibt den Runden Tisch des BMVI. Gerade in diesem Bereich habe man sich Expertisen von anderen Universitäten geholt.
Teil sechs dreht sich um die Akzeptanz des Autonomen Fahrens als solchen. Hier hat man auch soziale Medien durchforstet. Spaß am Fahren ist tatsächlich nicht der wichtigste Punkt in der Bevölkerung, so die Professorin Lenz. Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit sind Grundbedingungen für die Akzeptanz und Durchsetzungsfähigkeit der Technik. Dabei schaut man nicht nur auf die gesellschaftliche, sondern auch auf die individuelle Mikroebene der Menschen.
Künftig wird es Rezeptionen zu diesem Buch geben, aber 700 Seiten müssen erst mal durchgearbeitet werden. 😉